Nichts ist in spirituellen Kreisen so umstritten wie das Wort „Esoterik“. Die einen hassen es, die anderen sehen sich und ihre Arbeit als „überhaupt nicht esoterisch“ an, und wieder andere stehen zum Wort und zu sich selbst, wenn sie sagen: „Ich bin ein Esoteriker.“
Ich erinnere mich an einen Moment in der Küche der Wohngemeinschaft in Chur, in der ich kurz nach meiner Lehre gelebt habe. Wir saßen zu dritt am Küchentisch und diskutierten darüber, was wir sind oder was wir von uns selbst halten. Ich erklärte, dass ich glaube, mehrere Persönlichkeiten in mir zu sehen: erstens diejenige, die sich nach außen darstellt, dann diejenige, die ich gerne sein möchte, und als drittes diejenige, die ich wirklich bin, unabhängig von allen Vorstellungen und Ideen, wie ich sein sollte und sein möchte. Wenn ich das so schreibe, erkenne ich, dass ich auch heute noch dieser Meinung bin.
Meine Mitbewohner fragten mich, wo ich das gelesen hätte. Das konnte ich nicht sagen, denn die Antwort kam in dem Moment aus mir heraus. Gedanken darüber hatte ich mir bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nie gemacht. Darauf rief mein Mitbewohner in den Raum: „Ha, wir haben einen Esoteriker unter uns!“
Er selbst war Bankangestellter, die andere Mitbewohnerin Lehrerin, und ich arbeitete als Betriebsmechaniker in einer Glasfabrik. Das war meine erste Begegnung mit dem Wort „Esoteriker“.
Im Ausruf meines Freundes empfand ich ein Gefühl der Abwertung, als sei es etwas Negatives. War es denn etwas Schlechtes, ein Esoteriker zu sein?
Als ich mich damit auseinandersetzte, wurde mir die Bedeutung des Wortes jedoch schnell klar: Ein Esoteriker ist jemand, der seine Wahrheit in seinem Inneren sucht. Nicht mehr und nicht weniger.
Diejenigen, die sich nach außen orientieren, die nur glauben, was sie mit ihren eigenen Augen sehen oder messen können, sind Exoteriker. „Eso“ bedeutet „Innen“ und „Exo“ bedeutet „Außen“.
Ich stelle immer wieder fest, dass die Disharmonie um dieses Thema nichts weiter ist als der Kampf zwischen nach außen und nach innen orientierten Menschen, die von sich ausgehend auf alle anderen schließen. Was mich natürlich dazu animiert, mich selbst zu reflektieren und zu fragen, was bin ich?
Es überrascht mich wenig, dass ich, nüchtern betrachtet, beides bin. Ich bin sowohl Eso- als auch Exoteriker, mit einer deutlichen Neigung zum Esoteriker, denn als solcher bin ich glücklicher.
Das zeigt sich darin, dass ich mein Leben nach meinen inneren Wahrnehmungen und Gefühlen ausrichte.
Meine Intuition ist mein wichtigstes Werkzeug, wenn ich Inspiration für mein Leben brauche. Meine Gefühle zu mir selbst, wie ich mich wahrnehme, sind mein untrüglicher Indikator, ob ich gesund und selbstzufrieden in meiner Mitte bin. Das hängt nicht einmal von meinem äußeren Zustand ab. Es gab Momente, in denen ich mit Grippe im Bett lag, mir die Seele aus dem Leib hustete, mich jedoch innerlich ruhend und vollkommen gesund fühlte.
Auch wenn ich arbeite, so wie jetzt, kommen die Informationen und Worte aus mir. Ich schreibe diesen Text aus meinen Erinnerungen heraus. Wenn der Text, nachdem ich ihn geschrieben und mir selbst laut vorgelesen habe, immer noch stimmig klingt, gibt meine innere Wahrnehmung und Einschätzung das Okay, den Text zu verwenden oder in einer Schublade verschwinden zu lassen.
So zu arbeiten ist absolut stimmig für mich, denn es ist effizient und zielorientiert. Zudem weckt es ein Gefühl der Dankbarkeit und einer Portion Demut. Es berührt mich manchmal regelrecht, und ich staune, was sich alles durch mich auszudrücken vermag. Allerdings bin ich dadurch für mein Umfeld ab und an Projektionsfläche für Unverständnis oder Auslöser für Konflikte.
Ein außenorientierter Mensch, der Projekte minutiös plant und dem es wichtig ist, jeden Schritt bereits im Vorfeld abgeklärt zu haben, und der die Risiken mehrfach abwägt, dem ist meine intuitive Vorgehensweise suspekt.
Der „Rechner“ sieht oft keine Fortschritte in meinem Handeln und kann nicht nachvollziehen, warum dieses und jenes noch nicht fertig ist, obwohl es nach Plan bereits abgeschlossen sein sollte. Ein solcher Mensch betrachtet ein Nicht-Erreichen der Vorgaben schnell einmal als Versagen.
Betrifft es ihn selbst, kann das je nach persönlicher Gemütslage oder Stabilität, fatale Folgen haben und gar eine Depression auslösen.
Wenn es andere betrifft, die nicht den Plänen des Exoterikers entsprechen können, entstehen Konflikte, die zu unschönen Streitereien und Schuldzuweisungen führen können. Dies betrifft nicht nur die Arbeit, sondern zeigt sich auch in der unerfüllten Lebens-, Karriere- und Familienplanung sowie in Partnerschaften und Beziehungen. Die Auswirkungen, die entstehen, sind vielfältig, wenn zwischen dem Innen und Außen eines Menschen ein Konflikt oder sogar ein wüster Krieg herrscht.
Es können Unzufriedenheit, Mangel an Selbstverständnis, Selbstzerstörung, Depression, Wutanfälle, Jähzorn, Burnouts und körperliche Symptome wie Magengeschwüre, Herzrhythmus-störungen, Verdauungsbeschwerden, Übergewicht oder anderes ausgelöst werden. Besonders, wenn wir keine Erklärung für Symptome im Außen finden können, da wir „scheinbar“ alles richtig und die anderen alles falsch machen, liegt der Schluss nahe, dass diese Symptome durch innere Unstimmigkeiten herbeigeführt werden. So war es jedenfalls in meiner Vergangenheit der Fall.
Wenn ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich zuerst mein Äußeres. Und wenn ich tief einatme und meinem Atem nach innen folge, nehme ich mein Inneres wahr. Mein Äußeres verändert sich permanent, so wie es sich schon mein ganzes Leben, seit meiner Geburt bis heute, verändert hat.
Mein Inneres hingegen hat sich kaum verändert, seit ich mit mir selbst im Frieden lebe, denn unabhängig davon, wie das Äußere gerade aussieht, fühle ich mich innerlich ausgeglichen und selbstzufrieden.
Ich gehe davon aus, dass ich mich auch weiterhin glücklich fühle, solange ich in den Gegebenheiten des Lebens keine Angriffe auf meinen Seelenfrieden sehe, sondern sie wie Wind oder Wellen über dem Ozean des Lebens betrachte. Auf diesem Ozean gibt es Stürme, Seegang, sanfte Brisen und das gemütliche Schaukeln auf kleinen Wellen, je nach Wetterlage. Darum macht es wenig Sinn, Stürme verhindern zu wollen oder die ruhige See zwanghaft festzuhalten versuchen.
Ich fahre gut damit, mich als Esoteriker zu sehen, der das Äußere als Ausdruck seines Inneren wahrnimmt und den Zustand seines Inneren an seinem Umgang mit dem Äußeren feststellen kann.
Und ich lebe gut damit, den Exoteriker, der ich auch bin, als meinen Motivator anzunehmen, der mich dazu antreibt, Ziele zu setzen und zu erreichen, anstatt in Wunschdenken zu verharren.
So muss ich meine Vorhaben und das, was ich lebe, nicht verstecken und weder im Alltag noch im Beruf eine Maske aufsetzen oder mir fremde Rolle spielen. Ich kann authentisch und ich selbst sein: ein Mensch, der in sich das Innen und das Außen vereint und im Außen nach seinem Innen lebt.
Herzlich in deinen Tag,
Hampi van de Velde
Autor

Hampi van de Velde
Heilmedium | SVNH geprüfter Ausbildner für Heil-medien | Buchautor und Tutor der ISF (International Spiritualist Federation)