WISSEN von Georg Mulle
Es gibt Geschichten, die tief in den Schatten der Vergangenheit verborgen sind und doch ihre geheimnisvolle Kraft über die Jahrhunderte bewahren. Eine solche Geschichte ist die der nordischen Runen – Symbole, die nicht nur Schriftzeichen sind, sondern auch Schlüssel zu den mystischen Geheimnissen der nordischen Mythologie. Hier möchte ich meine persönliche Reise mit den Runen teilen, eine Reise durch Legenden, Magie und spirituelles Erwachen.
Für mich begann alles mit dem Lesen des Odins Runenlieds aus der Edda von Brynjolfur Sveinsson.
Die Worte „Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum, neun lange Nächte, vom Speer verwundet, dem Odin geweiht, mir selber ich selbst, am Ast des Baumes, dem man nicht ansehen kann, aus welcher Wurzel er spross,“ eröffneten eine Tür zu einer Welt voller Geheimnisse. Diese Worte erzählen von der Opferbereitschaft des germanischen Göttervaters Odin, der sich selbst an den Weltenbaum Yggdrasil hängte, um das Wissen über die Runen zu erlangen.
Das Wort „Rune“ trägt in sich das Geheimnis, und altgermanische Schriftzeichen werden zu den Schlüsseln, die diese Geheimnisse entriegeln. Es ist faszinierend zu erfahren, dass das Wort „Rune“ selbst aus dem vorindogermanischen „reu“ stammt, was „flüstern“ bedeutet. Eine klangvolle Verbindung zu Begriffen wie „raunen“ lässt uns einen Hauch der uralten Wurzeln spüren. Selbst das Wort „Buchstabe“ führt uns zurück zu den Runen, denn in der Runenmagie wurden die Zeichen oft auf Buchenstäbe geritzt.
Die Wissenschaft mag den Ursprung der Runen im Dunkeln lassen, aber ihre Spuren reichen weit zurück. Das ältere Futhark, ein Orakel mit 24 Runen, wurde vermutlich schon 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung genutzt. Ein antikes Erbe, das unsere Breitengrade durchzieht.
Die Runen sind nicht nur Symbole, sondern Träger einer emotionalen Kraft, die in alten Zeiten magisch genutzt wurde. Krieger schmückten Waffen und Schilde mit spezifischen Runen, um Schutz und Kraft zu suchen. Viele Runensteine im Norden erzählen von Heldentaten, oft von Runenmeistern oder Druiden verfasst, die die Geheimnisse der Runen beherrschten.
Doch wie so oft, wurde die Geschichte der Runen von dunklen Zeiten überschattet. Bestimmte Symbole wurden vom NS-Regime „missbraucht“, und einige, wie die Sowilo-Rune, sind heute noch bei unseren nördlichen Nachbarn verboten.
Die Vielfalt der Runen entwickelte sich mit der Zeit. Das ältere Futhark mit 24 Zeichen wurde erweitert, und je nach Region entstanden verschiedene Runenalphabete wie das Anglo-friesische Futhorc mit 33 Zeichen oder das jüngere Futhark mit 16 Zeichen. Die Runen sind lebendig, wandelbar, und jede hat ihre eigene Bedeutung.
Mein persönlicher Weg mit den Runen begann nicht nur durch das Lesen und Studieren, sondern erst, als ich mich intensiv mit ihrer Magie auseinandersetzte. Eine einjährige Ausbildung in den Wegen der Wiccas eröffnete mir den Zugang zu den Runen auf einer tieferen Ebene. Seitdem begleiten sie mich, zeigen sich in der Natur oder am Himmel, und ihre Energien raunen mir Ratschläge zu.
Das Faszinierende an den Runen ist, dass jede einen bestimmten Archetypen in sich trägt. Doch gleichzeitig sind sie beweglich, und dieselbe Rune kann bei verschiedenen Fragestellungen unterschiedliche Bedeutungen haben. Es ist ein ständiges Entdecken neuer Aspekte, sei es in Runenberatungen mit Klienten oder beim Herstellen persönlicher Runenanhänger.
Der Umgang mit den Runen ist kreativ und individuell. Es gibt verschiedene Arten, sie zu legen oder zu ziehen, ähnlich wie beim Tarot. Eine meiner persönlichen Methoden ist der Wurf der drei Nornen: Urd (Ursprung), Werdandi (Werden, Gegenwart) und Skuld (Schuld, Zukunft). Jede Rune, die dabei aufgedeckt wird, erzählt eine Geschichte, weist den Weg oder gibt einen Einblick in die Dynamik der Zeit.
Meine persönliche Verbindung zu den Runen geht noch tiefer, wenn ich sie aus Eibenholz herstelle. Die Eibe, giftig, aber für mich ein heiliger Baum, der Leben und Tod verkörpert. Ich spüre ihre Kraft und Essenz, wenn ich zwischen alten und mächtigen Eiben stehe. Da die Eiben in vielen Ländern geschützt sind, verwende ich nur Holz, das durch Pflegemaßnahmen anfällt.
Arbeiten mit den Runen ist für mich ein intensiver Prozess. Vom Aussuchen des Astes über das Schleifen bis zum Brennen der Runen – die Energien kommunizieren mit mir, und ich höre ihre Geschichten.
Es gibt unzählige Wege, mit den Runen zu arbeiten – sei es durch Legen, Ziehen, Singen oder Aufsagen wie ein Mantra. In meinen Runenberatungen bereite ich mich vor, indem ich mich mit meinen Spirits verbinde. Die Klienten ziehen dann drei Runen, ohne dass ich ihre Frage kenne. Die Runen sprechen, und gemeinsam begeben wir uns auf eine Reise, oft weit über die anfängliche Frage hinaus.
Es gibt weder gute noch schlechte Runen. Jede ist einfach eine Rune, die ihre Aspekte verkörpert. Ich höre oft Sätze wie „Oh nein, nicht schon wieder die, die ziehe ich schon zum x-ten Mal.“ Doch das zeigt nur, dass das Thema immer noch präsent ist, angegangen werden möchte.
Die Welt der Runen ist für mich ein faszinierendes Mysterium, das nicht nur die Verbindung zwischen Mythologie und Magie reflektiert, sondern auch persönliches Wachstum und spirituelle Entfaltung ermöglicht. Jede Rune birgt ein Geheimnis, das darauf wartet, entdeckt und gelebt zu werden. Tauche ein in die Welt der Runen, lasse dich von ihrer mystischen Kraft leiten, und vielleicht wirst auch du auf deiner eigenen Reise mit den Runen eine Verbindung zu den uralten Geheimnissen der nordischen Völker spüren.
Gute Literatur zu den Runen:
„Runen-Handbuch für Anfänger“ von Edred Thorsson, Urania Verlag, ISBN 978-3-908654-08-7
„(Odins Runenlied 139 (1) aus der Edda)“ von Brynjolfur Sveinsson, aus „Dem germanischen Götterhimmel“, ISBN 978-3-935581-32-5 von Voenix, www.voenix.de
„Runenkunde Ein Handbuch der esoterischen Runenlehre“ von Edred Thorsson, ISBN 3-908644-64-X
Wenn du dein Wissen über Runen vertiefen möchtest, findest du interessante Workshops unter www.eir-heilwege.ch. Weitere Informationen findest du auch auf www.medicineflutes.ch.